ZEIT
online vom 23.4.2008
Die
Anti-Kohle-Bewegung
Die
Kernkraftgegner haben einen neuen Feind: die Kohle. Schon warnt
Umweltminister Gabriel seine einstigen Verbündeten, ihr Protest
gefährde den Atomausstieg
Von
Marlies Uken
Mit
Widerstand hat Jan Deters-Meissner Erfahrung: Schon vor 30 Jahren
demonstrierte der Sozialarbeiter gegen eine nukleare
Wiederaufbereitungsanlage in seinem Heimatdorf Wippingen. Lange war
es ruhig geworden im Leben des Sozialarbeiters. Doch jetzt hat der
51-Jährige ein neues Protestobjekt gefunden: das Kohlekraftwerk
in Dörpen bei Papenburg.
Dort
will der Schweizer Konzern BKW FMB, an dem auch der deutsche
Energieriese E.on beteiligt ist, ein Steinkohlekraftwerk mit einer
Leistung von 900 Megawatt errichten. „Die klimapolitischen
Auswirkungen sind katastrophal“, sagt Deters-Meissner. Er rechnet
mit jährlichen Kohlendioxid-Emissionen von vier bis fünf
Millionen Tonnen.
„Damals
haben wir die Atom-Anlage verhindert, heute werden wir das
Kohlekraftwerk verhindern“, sagt Deters-Meissner. Seit einem Jahr
macht seine Bürgerinitiative „Saubere Energie“ Lobby gegen
Kohle, sammelt Unterschriften und hat sogar einen Protestsong
komponiert: „Wehrt euch, leistet Widerstand gegen die KKWs in
diesem Land“, tönt es zur Melodie von Hejo, spann den Wagen
an.
Strom
aus neuen Kohlekraftwerken ist das neue Streitthema in der
Energiepolitik. Das zeigen die aktuellen Querelen um das geplante
Steinkohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg. Dort will der
Vattenfall-Konzern für zwei Milliarden Euro ein 1640
Megawatt-Kraftwerk errichten und stößt auf erbitterten
Widerstand der Bevölkerung.
Das
Kohlekraftwerk war einer der strittigsten Punkte während der
jüngsten Koalitionsverhandlungen zwischen Bürgermeister Ole
van Beust (CDU) und den Grünen. Die Pläne sind politisch
und juristisch so brisant, dass die neue schwarz-grüne Koalition
sich in ihrem Koalitionsvertrag nicht festlegen wollte, ob das
Kraftwerk nun realisiert wird oder nicht.
Betreiber
Vattenfall ist alarmiert. Ein Aus für Moorburg könnte auch
das Aus für künftige Kohlekraftwerksprojekte sein, warnt
der Konzern. Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft
(BDEW) kritisiert, die Politik ducke sich vor den öffentlichen
Protesten weg, es mangele ihr an „Stehvermögen“. Es gebe
einen „Genehmigungsstau“, sagt BDEW-Präsident Michael Feist.
Bis
2018 sind in Deutschland nach Informationen des BDEW 60 Stein- und
Braunkohlekraftwerke geplant. Allerdings ist diese Zahl umstritten.
Wegen der rasant ansteigenden Preise für Kraftwerksbauten,
Unklarheit über den zukünftigen CO2-Preis und des
Widerstands der Bevölkerung würden wahrscheinlich längst
nicht so viele Kraftwerke gebaut, wie von den Konzernen immer wieder
vollmundig angekündigt, sagt Ulrich Kelber, stellvertretender
Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag.
Die
meisten Anlagen sollen in Nordrhein-Westfalen errichtet werden. Wegen
guter Lieferanbindungen für die Kohlefuhren sind auch
Hafenstädte wie Emden, Wilhelmshaven oder Kiel im Gespräch.
Doch
es gibt kaum einen Standort, an dem sich die Bevölkerung nicht
wehrt. Die Bürgermeister der ostfriesischen Ferieninseln haben
schon eine Erklärung gegen die Kohlemeiler an der Nordsee
verabschiedet – sogar die Industrie- und Handelskammer spricht sich
gegen ein Kraftwerk in Emden aus. Greenpeace, der BUND und die Grünen
unterstützen Bürgerinitiativen, die sich über das
Internet vernetzen.
Die
neue Bürgerbewegung kann sogar schon erste Erfolge vorweisen:
Ende vergangenen Jahres sagte der RWE-Konzern seine Kraftwerkspläne
im saarländischen Ensdorf entnervt ab, nachdem die Bevölkerung
RWE mit einem Bürgerentscheid gebremst hatte. In
Mecklenburg-Vorpommern muss sich nach einer Volksinitiative der
Landtag mit den Plänen des dänischen Stromkonzerns Dong
beschäftigen, in Lubmin ein 1600-Megawatt-Kraftwerk zu
errichten.
An
der Ostsee allerdings fürchten die Bürger nicht nur das
Kohlendioxid, sondern wehren sich auch gegen Quecksilber und etliche
hundert Tonnen Feinstaub, Schwefeldioxid und Stickoxide, die beim
Betrieb freigesetzt werden – nicht nur aus ökologischen,
sondern auch ökonomischen Gründen.
„Wir
sind hier eine Ferienregion und haben mit die beste Luft in
Deutschland“, sagt Michael Woitacha, Sprecher der Bürgerinitiative
„Kein Steinkohlekraftwerk Lubmin“. „Das Kraftwerk gefährdet
die Arbeitsplätze im Tourismussektor.“ Vor allem aber
konterkarierten die Kraftwerkspläne sämtliche
Klimaschutzziele der Bundesregierung, denn allein Lubmin emittiere
zehn bis 16 Millionen Tonnen CO2 im Jahr – ohne dass ein altes
Kraftwerk vom Netz gehe.
Mit
seiner Kritik berührt Woitacha einen heiklen Punkt in der
Klimapolitik der Bundesregierung. Denn die Große Koalition
unterstützt den Bau neuer Kohlekraftwerke. Umweltminister Sigmar
Gabriel (SPD) argumentiert, die neuen Kraftwerke seien effizienter
und klimafreundlicher als die heutigen Meiler, die dann endlich vom
Netz gehen könnten. Sein Sprecher verweist auf die ehrgeizigen
Klimaziele der Regierung: „Wenn wir unsere CO2-Ziele erreichen
wollen, brauchen wir effizientere Kraftwerke.“
Nur,
eine Garantie, dass die Konzerne für jedes neue Kraftwerk ein
altes abschalten, hat Gabriel nicht. Im Fall von Lubmin zum Beispiel
betreibt der dänische Betreiber Dong gar kein anderes Kraftwerk
in Deutschland, das er abschalten könnte. So ist auch der Chef
des UN-Klimasekretariats, Ivo de Boer, überrascht, wie
Deutschland seine CO2-Emissionen wie angekündigt um 40 Prozent
senken will, wenn es gleichzeitig zahlreiche neue Kohlekraftwerke
plane und baue.
Gabriel
gefällt solche Kritik gar nicht, denn politisch steckt er in
einer Bredouille. In Berlin muss er gegenüber seinem
Koalitionspartner den Atomausstieg verteidigen – auch aus
Überzeugung und alter Verbundenheit zur Anti-Atombewegung der
achtziger Jahre. Als Ersatz für Atom- und schmutzige, alte
Kohlemeiler brauche das Land neue, saubere Kohlekraftwerke, sagt
Gabriel. CDU und CSU dagegen würden den Atomausstieg am liebsten
wieder rückgängig machen. Schließlich sei die
Atomenergie noch immer klimafreundlicher als die Kohlekraft.
Inzwischen
reagiert der Umweltminister ziemlich gereizt auf den Protest aus dem
eigenen Lager. Mit ihrer Anti-Kohle-Politik leisteten die Kohlegegner
längeren Laufzeiten von Atomkraftwerken Vorschub, polterte
Gabriel kürzlich und rührte damit an den Wurzeln der
Bewegung.
Hinter
solchen Ausbrüchen steht auch die Befürchtung, dass es zu
einem Versorgungsengpass kommen könnte. Die Angst vor der
„Stromlücke“ schüren vor allem die großen
Stromkonzerne und die Deutsche Energieagentur (dena). Halte man am
Atomausstieg fest und investiere nicht in neue Kohlekraftwerke, könne
es von 2012 an zu Engpässen in der Stromversorgung kommen,
berichtet die dena in einer umstrittenen Studie.
Doch
selbst im eigenen Haus ist Gabriels Position umstritten. Michael
Müller, Staatssekretär im Umweltministerium, kann eine
Stromlücke nicht erkennen. In einem Anfang der Woche
veröffentlichten Aufruf beklagt er stattdessen eine
„Handlungslücke“, weil „Teile der Energiewirtschaft und
der Industrie versuchen, überholte Angebotsstrukturen zu
erhalten“.
Neue
Kohlekraftwerke sind nach Ansicht Müllers nicht nötig, wenn
man konsequent den Einsatz erneuerbarer Energien und
Kraft-Wärme-Kopplung fördere und radikal Energie einspare.
Ausdrücklich nimmt Müller die Kohlestrom-Gegner in Schutz:
"Wir kritisieren den Versuch, der Politik und der Umweltbewegung
die Schuld für künftige Engpässe zuzuweisen."