„Wir brauchen neue Kraftwerke“

F.A.Z. vom 29.03.2008
Im Gespräch: Michael Glos

„Wir brauchen neue Kraftwerke“

29. April 2008 Zehn Jahre nach der Liberalisierung bleibt der Strommarkt eine Dauerbaustelle. Wirtschaftsminister Michael Glos will die Kosten begrenzen, den Ausbau von Anlagen und Leitungen aber fördern.

Vor zehn Jahren wurde der Energiemarkt liberalisiert. Was sehen Sie in der Rückschau: mehr Licht oder mehr Schatten?

Mehr Licht – trotz aller Schwierigkeiten. Nach Aufbrechen der Monopole mit dem Energiewirtschaftsgesetz 1998 hat man es allerdings versäumt, den Monopolbereich Netze wirksam zu regulieren. Dieses Versäumnis – was mit der Bundesnetzagentur im Jahre 2005 nachgeholt wurde – hat uns um Jahre zurück geworfen. In dieser Legislaturperiode sind auf meinen Vorschlag hin weitere Maßnahmen umgesetzt worden. Mittlerweile hat sich auch der Wettbewerb um den Haushaltskunden fest etabliert. 2007 haben im Strombereich doppelt so viele Verbraucher ihren Lieferanten gewechselt wie 2006.

Die Hoffnung auf nachhaltig sinkende Preise hat aber getrogen.

Richtig ist, dass die Strompreise nach der Öffnung der Strommärkte im Jahre 1998 in Deutschland bis zum Jahre 2000 deutlich gesunken sind. Damals hatte Rot-Grün durch eine Reihe von Maßnahmen aber den Staatsanteil am Strompreis stetig erhöht; vor allem durch die Einführung der Öko/Stromsteuer, das Erneuerbare-Energien-Gesetz aber auch das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz.

Deshalb sind die Preise heute höher als 1998. Wie glaubwürdig ist da Ihre Kritik an zu hohen Strompreisen?

Auch die Unternehmen sind in den Verdacht geraten, zusätzlich zugelangt zu haben. Deshalb haben wir den Wettbewerb auf dem Strommarkt mit weiteren Maßnahmen forciert. Dazu gehörte die Regulierung der Netzentgelte durch die Bundesnetzagentur. Ich habe die Anreizregulierungsverordnung, die Kraftwerks-Netzanschluss-Verordnung und die Kartellrechtsnovelle auf den Weg gebracht. Und mit Nachdruck werde ich mich dafür einsetzen, die staatliche Strombelastung in Grenzen zu halten. So haben wir bei der Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes einen Förderdeckel vorgesehen, der keinen Belastungsanstieg über das bisherige Niveau zulässt. Eine Erhöhung der Stromsteuer werde ich nicht zulassen.

Das ist ein schöner freier Markt, auf dem der Staat einen großen Teil der Preise bestimmt und vorgibt, welche Quellen zu Energieerzeugung überhaupt noch herangezogen werden dürfen.

Mir liegt sehr daran, dass wir die vereinbarten Ziele beim Klimaschutz oder die Ausbauziele für erneuerbare Energien effizient und wirtschaftlich umsetzen. Darauf kommt es doch an! Und das heißt dann ganz konkret für die Instrumente: Anreize und Wahlfreiheit statt Zwang; Technologieoffenheit statt Technologiesteuerung sowie Degression und Evaluierung von Förderinstrumenten. Mit planwirtschaftlichen Methoden, wie es manchen Umweltpolitikern vorschwebt, kommen wir hier nicht weiter.

Der Chef der Deutschen Energieagentur (Dena), Stephan Kohler, sagt, die Strompreise müssten steigen, weil die Preissignale heute nicht ausreichten, um Investitionen in neue Kraftwerke auszulösen. Halten Sie das für ein Problem?

Sich noch höhere Strompreise zu wünschen, um Investitionen in neue Kraftwerke auszulösen, kann nicht das Ziel sein. Tatsache ist aber, dass bei den Kraftwerksinvestoren Unsicherheit über die zukünftige Kostenentwicklung besteht, die zu einer Investitionszurückhaltung führen könnte. Dies gilt vor allem hinsichtlich der kaum abschätzbaren Kohlendioxid-Kosten, die wegen der von der EU geplanten Vollversteigerung der Emissionshandelszertifikate zu einem zentralen Kostenfaktor für die Stromerzeugung werden.

Die Dena hat mittelfristig eine Kapazitätslücke von 12.000 Megawatt errechnet. Damit würden 8 Prozent der Kapazität fehlen. Das Umweltbundesamt hält die Rechnung für falsch. Was sagen Sie?

Ich nehme jedenfalls die Alarmrufe der Dena und der Bundesnetzagentur ernster als die Abwiegelungsversuche des Umweltbundesamtes und der Naturschutzverbände. Wir haben uns gemeinsam mit der Stromwirtschaft, der Netzagentur und dem Umweltministerium mit den Ergebnissen der vorgelegten Untersuchungen auseinandergesetzt. Im Ergebnis haben wir eine übereinstimmende Bewertung: Wir brauchen dringend neue Anlagen, denn bei ausbleibendem Zubau von Netz- und Erzeugungskapazitäten laufen wir Gefahr, dass viel länger als nötig alte und ineffiziente Anlagen eingesetzt werden müssen, um die Sicherheit der Versorgung zu gewährleisten. Das fördert weder den Wettbewerb, noch führt es zu günstigen Strompreisen. Erst recht nicht dient es dem Klimaschutz.

Was müsste also geschehen?

Zunächst einmal brauchen wir eine ideologiefreie Debatte in der Öffentlichkeit, die zwischen Szenarien, also dem rein Vorstellbaren, und Prognosen, also dem Wahrscheinlichen unterscheidet. Legt man die Zahlen auf den Tisch, wäre die einfachste und preisgünstigste Lösung die Verlängerung der Laufzeiten der kohlendioxidfreien Kernkraftwerke.

In Hamburg wollen CDU und Grüne das Kohlekraftwerk Moorburg verhindern. Macht das klimapolitisch Sinn?

Die schlechteste und teuerste Lösung ist, wenn die Kraftwerksbetreiber ihre alten kohlendioxidintensiven Anlagen weiterlaufen lassen, statt den Kraftwerkspark zu erneuern. Im Übrigen wird durch die Verhinderung von Kohlekraftwerken keine einzige Tonne Kohlendioxid eingespart.

Sondern?

Der EU-weite Emissionshandel gewährleistet das Einhalten der Klimaschutzziele im Kraftwerksbereich. Die entscheidende klimapolitische Vorgabe ist die Festlegung der Gesamtemissionsmenge. Wenn ein Kohlekraftwerk, das aus Sicht des Investors die kostengünstigste Lösung darstellt, alle emissions- und umweltrechtlichen Vorgaben erfüllt, gibt es keinen Grund, die Genehmigung zu verweigern. Klimaschützer, die sich gegen Kernkraft und moderne Kohlekraft wenden, setzen unsere Versorgungssicherheit aufs Spiel und tragen dazu bei, dass die Strompreise in die Höhe schießen.

Betreiber von Kohlekraftwerken setzen auf neue Techniken zur Abscheidung und Lagerung von Kohlendioxid (CCS) und zur Nachrüstung bestehender Anlagen schon ab Mitte des nächsten Jahrzehnts. Halten Sie das für realistisch?

Als Technologieminister bin ich zwar sehr dafür, dass man sich ehrgeizige Ziele setzt. Aber beim Thema Kohlendioxid- Abscheidung und -Lagerung sind wir eben erst dabei, Pilotprojekte durchzuführen und Demonstrationsanlagen auf den Weg zu bringen. Ich rechne damit, dass CCS etwa im Jahr 2020 kommerziell zur Verfügung stehen wird – vorausgesetzt, dass die Demonstrationsvorhaben erfolgreich sind. Dazu brauchen wir Zeit und Akzeptanz in der Bevölkerung.

Auch gegen den Ausbau des Leitungsnetzes gibt es Proteste. Was tun Sie?

Das Wirtschaftsministerium hat den Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze vorgelegt. Dadurch sollen die Planungs- und Genehmigungsverfahren für diese Stromautobahnen beschleunigt werden. Die Notwendigkeit dieser Leitungen ist unter Experten unbestritten. Diese Projekte sollen jetzt in einem Bedarfsplan zusammengefasst werden, der unmittelbar vom Gesetzgeber beschlossen wird. Es würde mich freuen, wenn die Bundesregierung meinen Gesetzesentwurf noch im Mai beschließt.

In Niedersachsen will die CDU-FDP-Regierung „Stromautobahnen“ in der Nähe von Wohngebieten in die Erde legen. Ist das ein Modell für den Bund?

Und wer soll das bezahlen? Denn die hohen Zusatzkosten für Erdkabel landen über die Netzentgelte bei den Stromverbrauchern. Viele technische Fragen, aber auch Umweltfragen sind noch nicht gelöst. Was Niedersachsen betrifft: Wir sind im Gespräch. Die zentrale Frage für die Energieinfrastruktur unseres Landes muss vom Bund geregelt werden.

In der Energiewirtschaft wird über die Gründung einer Netz AG nachgedacht, in die die Konzerne ihre Netze einbringen. Halten Sie das für eine gute Idee?

Zunächst einmal ist mir wichtig, dass die notwendigen Netzinvestitionen auch in Zukunft sichergestellt sind. Hierfür brauchen wir finanzstarke Netzbetreiber. Das hohe Niveau und die Zuverlässigkeit der Stromversorgung in Deutschland zeigen, dass die vorhandenen privatwirtschaftlichen Strukturen effizient sind. Dies wollen wir beibehalten. Eine staatliche Netz AG kommt deshalb für uns nicht in Betracht. Ob eine private Deutsche Netz AG, in die alle Übertragungsnetzbetreiber ihre Netze einbringen, zielführend ist, ist zunächst eine betriebswirtschaftliche Entscheidung und damit Sache der beteiligten Unternehmen. Wettbewerbsfördernder wäre aber eine europäische Lösung.

Damit käme auch die RAG-Stiftung dafür also nicht in Betracht?

Die Einbringung der Netz AG in die RAG-Stiftung wäre eine Überfrachtung dieser Stiftung. Der Stiftungszweck der RAG-Stiftung sieht die Verwendung von Erträgen der Stiftung ausschließlich zur Abwicklung des deutschen Steinkohlebergbaus und der Beseitigung der Altlasten vor.

Die Fragen stellte Andreas Mihm.

Text: F.A.Z.